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Die Fremden

Genervt sitze ich auch jetzt am späten Abend noch im Büro, irgendwie scheint die Zahlung der Ebay-Gebühren nicht funktioniert zu haben, denn ich habe seit dem letzten Login nur noch eine Meldung auf dem Bildschirm, welche mir mitteilt dass mir bis zur Klärung kein Zugriff gewährt werden kann. Angeblich wäre ich bereits in einer an mich gesendeten E-Mail über diesen Sachverhalt aufgeklärt worden. Jedenfalls bin ich stinksauer und wäre so ein Monitor nicht so teuer, dann hätte ich ihn kurzerhand gegen die Wand geschmissen, denn danach steht mir gerade der Sinn. Obwohl ich einen widerlichen Geschmack im Mund habe, von den unzähligen Dutzend Zigaretten der letzten Tage, rauche ich auch jetzt noch eine Frustkippe nach der anderen.

Zurück gelehnt in meinem Bürostuhl, drehe ich mit diesem hin und her, nach rechts und nach links. Als ich mich gerade nach rechts drehe und ich somit in den Lagerraum schaue, fällt mir vor Entsetzen fast die Zigarette aus der Hand. Dort im Regal steht der Kanister mit dem destillierten Wasser für die Scheibenwischanlage meines Autos und dieses Ding schaut mich an. Ja im Ernst, dieser Kanister aus Plastik hat Augen und grinst mich an. Erschrocken blicke ich zurück zum PC –  Monitor, um dann Sekunden später ungläubig wieder in den Raum zu äugen. Nun ist das Gesicht verschwunden, doch als ich mich erleichtert wieder abwenden will fällt mir das Gesicht auf welches der Staubsauger mit einem Male besitzt. Jetzt lacht mich dessen Visage ungeniert an.

Ich brülle in den Raum hinein: „Was geht denn ab hier, wollt ihr mich verarschen. Was seid ihr den für Typen? Wie kommt ihr überhaupt in mein Büro?“

Keine Antwort, stattdessen glotzen plötzlich alle erdenklichen weiteren Gegenstände aus weit aufgerissenen Augen auf mich herab.

„Ey habt ihr ne Macke? Verpisst euch, ich habe keinen Bock auf so eine Psychoscheiße. Fickt euch.“ Ich springe auf, renne panisch aus dem Raum und schmeiße die Tür hinter mir zu. Es kommt in mir in diesem Moment nicht die Frage auf, dass ich mich bereits in einer ernst zunehmenden Psychose befinde, alles hat so einen realen Charakter. Für mich ist alles was zu jenem Zeitpunkt geschieht absolute Tatsache.

Das was mir allerdings keine Ruhe lässt, sind diese Stimmen welche ich immer wieder wahr nehme. Ich kann sie nicht verstehen und es sind nicht die Stimmen von mir bekannten Personen, zumindest kann ich diese Niemanden zuordnen. Immer wieder höre ich Flüstern in meinen Ohren und ich denke dies kommt einzig und allein aus meinem Kopf, denn nichts von dem was ich sehe spricht zu mir. Dies zu wissen macht mir Angst, denn dieser Kopffasching will einfach nicht enden.

Jedenfalls stehe ich nun vorne im Büro, gehe auf und ab, überlege, überlege und überlege. Jedoch finde ich keine Erklärung für jene Gestalten vor welchen ich gerade geflüchtet bin. Mittlerweile drückt mir die Blase und ich muss dringend zur Toilette. Nachdem ich an der Tür gelauscht habe überwinde ich meine panische Angst und öffne die Tür einen Spalt weit. Von hier aus ist weder etwas zu sehen noch zu hören, also hole ich tief Luft und flitze zu dem zwei Meter entfernten Bad, knalle die Tür zu, drehe den Schlüssel um und warte. Es tut sich nichts, also betätige ich den Lichtschalter und verschaffe mir sodann Erleichterung auf der Toilette.

Mit einem Male, gerade eben als ich mir die Hände wasche, tut sich da vor der Türe etwas, keine Ahnung was da geschieht, aber irgendwas oder irgendjemand erzeugt da eine Geräuschkulisse. `Verdammte Scheiße was mache ich nun´, stellt sich mir die Frage und ich entschließe mich dazu einfach auszuharren. Dann ist es wieder still und das Einzige was ich höre ist mein Atem. Leise schließe ich das Schloss auf, öffne langsam die Tür und luge hindurch. Mein Blick geht um die Ecke nach rechts hin zur Abstellkammer, dorthin wo diese Gegenstände zum Leben erwacht waren. Da ich keine Geräusche vernehme renne ich wie von der Terantel gestochen nach vorne. Endlich in Sicherheit, die Tür ist zu…

Kurze Zeit später entschließe ich mich nach oben zu gehen um mit meiner Frau zu reden. Wir befinden uns im Wohnzimmer und ich erzähle ihr von den Stimmen in meinem Kopf, formuliere eine Zusammenfassung der Erlebnisse der letzten Tage, sowie von der Angst den Verstand zu verlieren. Gleichzeitig äußere ich dass ich mich am nächsten Tag von einem Arzt untersuchen lassen will, sollten die Stimmen über Nacht nicht verschwinden. Sie entgegnet ich solle sofort im Krankenhaus anrufen und mich in die Psychiatrie einweisen lassen, denn ich täte auf sie den Eindruck eines Geistesgestörten machen. Sie setzt mich so sehr unter Druck, dass ich auf den Balkon flüchte um dort eine Zigarette zu rauchen.

In Wirklichkeit habe ich Angst davor zu einem Arzt gehen zu müssen, denn ich befürchte dass ich unter Umständen in die Psychiatrie eingewiesen und dort wie ein Irrer behandelt werde. Obwohl das mit dem irre sein nicht von allzu weit hergeholt zu sein scheint, aber noch versuche ich das Ganze von mir weg zu schieben, erstmal abwarten wie es morgen um meinen Kopf bestellt ist.

So lehne ich da nun also auf meine Ellenbogen gestützt am Balkongeländer und blase den Rauch meiner Zigarette in die warme, abendliche Sommerluft hinein. Als mein Blick nach unten geht, schaue ich in den Nachbarhof wo ich augenblicklich mehrere Gestalten wahrnehme. Es handelt sich um drei oder vier Personen, welche weiße Vollkörperanzüge tragen und somit aussehen wie Mitarbeiter der polizeilichen Spurensicherung. Sie stehen da unten vor einem Schuppen und scheinen da irgendetwas von der Hauswand zu kratzen, wie wenn Sie irgendwelche Spuren sichern wollen. Verdutzt schaue ich mir diese Szene da unten an und gerate in Panik, denn in mir kommen die Bilder von der Razzia wieder hoch in welche ich knapp zwei Jahre zuvor verwickelt war.

Plötzlich schaut eine der Personen zu mir nach oben und spricht zu seinen Kollegen: „Vorsicht, er hat uns entdeckt.“ Erschrocken trete ich vom Balkongeländer zurück. Das kann einfach nicht wahr sein, was wollen die von mir?

Kurz denke ich ob ich mir das Ganze eventuell nur einrede und so schaue ich noch einmal zögernd über den Balkonrand. Doch sie sind immer noch da und gerade jetzt wo ich schaue, blicken mir all deren Gesichter entgegen. Ertappt trete ich erneut zurück, spüre wie mir vor Angst und Panik die Knie zittern. Obwohl dass da unten absolut real wirkt, entscheide ich mich dazu nach innen zu gehen um meine Frau zu bitten die Situation zu beurteilen.

Drinnen erkläre ich Ihr was sich meiner Meinung nach gerade im Hof abspielt und ich bitte Sie nach draußen zu gehen um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Ungläubig und widerwillig geht sie schließlich auf den Balkon. Sekunden später kommt sie wieder zurück und ihrem Kopfschütteln entnehme ich bereits, bevor sie etwas zu mir sagt, dass ich wohl nicht mehr alle Sinne beisammen habe und mich offenbar mitten in einem dieser Drogenfilme befinde.

„Ronny, da unten ist absolut gar nichts außer ein paar Müllsäcken. Da ist niemand im Hof, wirklich. Du solltest echt dringend einen Arzt anrufen. Das Beste ist du rufst sofort im Krankenhaus an.“ Zusammen gekauert hocke ich auf dem Sofa und stütze meinen Kopf in die Hände. Was passiert hier mit mir, verliere ich tatsächlich meinen Verstand?

Ich erwidere: „Ja, wenn es mir morgen nicht besser geht, dann rufe ich in der Klinik an…“ „Willst du wirklich so lange warten. Ronny du hast eine Psychose und ich habe echt das Gefühl wie wenn du durchdrehst. Gehe bitte jetzt sofort ins Krankenhaus. Soll ich anrufen?“

„Nein, ich warte noch diese Nacht ab“, entgegne ich panisch, „ich lege mich nachher schlafen und hoffentlich geht es mir dann morgen besser.“

Mit diesen Worten stehe ich auf und meine zu meiner Frau: „Ich gehe jetzt runter ins Büro und lege mich dort schlafen.“ „Ronny, bitte rufe jetzt sofort einen Arzt an, ich mache mir Gedanken um dich.“

Irgendwie überkommt mich das Gefühl dass ich besser verschwinden sollte, also laufe ich in die Küche, schnappe mir dort einen Apfel und eine Banane, werfe diese in meinen Rucksack und verlasse aufgeregt die Wohnung. Als ich mir vor der Wohnungstüre meine Schuhe zuschnüre, denke ich meine Frau drinnen telefonieren zu hören. In dem Gespräch scheint es um mich zu gehen. Telefoniert sie etwa mit dem Krankenhaus oder vielleicht sogar mit der Psychiatrie?

Verdammt, kommen die jetzt wirklich um mich hier abzuholen um mich dann in die Klapse einweisen zu lassen? Auf gar keinen Fall werde ich dies zulassen. Nun denn renne ich mit lediglich halb angezogenen Schuhen die Treppenstufen ins Erdgeschoss hinunter um in mein Büro zu gelangen. Als ich die Hauseinganstür öffne, höre ich mehrere Stimmen flüstern: „Da kommt er, warten wir bis er im Büro ist und dann gehen wir hinterher. Er wird nicht freiwillig mitkommen hat seine Frau gesagt.“ Mir wird schwindelig vor Angst und mein Hals schnürt sich zu. Es fällt mir schlagartig schwer Luft zu holen und es gelingt mir nur unter Anstrengung den Schlüssel in das Türschloss zu bekommen. Während ich an der Türe hantiere, schaue ich immer wieder über meine rechte Schulter nach hinten. Ich sehe Schatten auf dem Gehweg vor dem Hauseingang, welche auf mehrere Personen hinweisen welche dort um die Ecke zu lauern scheinen.

Endlich schaffe ich es die Türe zu öffnen. Als ich das Büro betrete, schalte ich zuerst das Licht an, ziehe dann die Vorhänge des Schaufensters auf und lasse auch die Türe sperrangelweit offen um den Bereich vor dieser im Blick behalten zu können. Ich drücke meine Nase an das Schaufenster um einen Blick nach draußen zu erhaschen, jedoch kann ich niemanden erblicken. Trotzdem höre ich immer noch kontinuierlich die Stimmen flüstern. Ich überlege wie ich jetzt von hier verschwinden könnte ohne gefasst zu werden. Zunächst aber beginne ich meinen Rucksack zu packen. Ich verstaue das Notwendigste wie Tabak, Filter, etwas Kleidung, Bierflaschen und mein Geld. Dann lege ich meinem Hund sein Halsband um, schnappe mir die Hundeleine und möchte das Büro verlassen.

Doch nun vermisse ich meinen Schlüsselbund, wo habe ich diesen schon wieder verlegt? Verzweifelt und wütend auf meinen momentanen Zustand, durchsuche ich das Büro. Jedoch kann ich den Schlüssel einfach nicht ausmachen. Es ist zum verrückt werden. Völlig erschöpft nehme ich in meinen Drehstuhl platz und starre durch das Schaufenster hinaus auf die Straße. Es ist dunkel und außer einigen vorbei fahrenden Autos passiert dort nichts. In meinem Kopf herrscht absolutes Chaos. Wo ist dieser verdammte Schlüssel?

Jäh nehme ich eine Bewegung aus Richtung der Eingangstür wahr. Wie ich dort hin schaue, sehe ich eine Hand welche um die Ecke kommt und meinen Schlüsselbund direkt vor das Türschloss hält. Überrascht stehe ich auf, gehe zur Tür und greife nach dem Schlüssel. Nun halte ich völlig perplex den Schlüssel in der Hand und die Hand welche ihn gehalten hat ist spurlos verschwunden. „Seht ihr, er ist darauf rein gefallen. Er keinen Durchblick mehr. Habt ihr gesehen wie er reagiert hat?“ Diese Worte höre ich von draußen und dann weiter: „Lassen wir ihn noch mit seinem Hund Gassi gehen, danach holen wir ihn uns.“

Ich glaube ich spinne, die wollen mich tatsächlich gegen meinen Willen in die Klapsmühle stecken. Diese Situation wird für mich immer brenzliger und ich bin tierisch wütend auf meine Frau, welche nach meiner Vorstellung mit ihrem Anruf dieses Schauspiel ins rollen gebracht hat. Ich rufe meinen Hund heran, setze mir den Rucksack auf, befestige die Leine am Hundehalsband und schaue anschließend vorsichtig aus der Tür, um die Ecke, die Treppenstufen hinunter. Gerade dadurch dass niemand zu sehen ist, kommt mir die Angelegenheit noch skurriler vor. Mit meinem Rucksack und Hund im Schlepptau verlasse ich das Büro, ziehe die Tür zu und schließe ab. Einmal tief durchatmen und ich renne mit meinem Hund die drei Stufen hinunter auf den Gehweg. Nach rechts und links geschaut stelle ich fest dass niemand zu sehen ist, aber trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass ich beobachtet werde.

Wie ich mich in Richtung des um die Ecke liegenden Parks begebe, denke ich verfolgt zu werden denn ich höre ständiges Flüstern und bilde mir sogar ein den Atem der Verfolger in meinem Nacken zu spüren. Nichts desto trotz drehe ich mich nicht um, ich möchte die Verfolger in dem Glauben lassen, dass ich sie noch nicht mitbekommen habe. Nur somit habe ich eventuell die Chance im richtigen Moment zu flüchten, da sie nicht damit rechnen werden. Wie aus heiterem Himmel steht eine Dame um die vierzig Jahre vor mir und beugt sich nieder um meinen Hund zu streicheln. Dann schaut sie mich an und fragt: „Sie wissen dass Hunde in diesem Alter mitnehmen dürfen?“ Für mich ist sofort klar was sie damit meint. Sie gehört ebenfalls zu meinen Verfolgern und möchte mich davon überzeugen freiwillig mitzukommen. Entsetzt ziehe ich meinen Hund von ihr weg und laufe zügig weiter in den Park hinein. Mir fallen all die verdächtigen Personen auf, welche auf den Parkbänken sitzen und mit durchdringend beobachten.

Schnellen Schrittes nehme ich den kürzeren Weg durch den Park und biege in die benachbarte Parallelstraße ein. Es scheint mir niemand zu folgen, zumindest habe ich dieses Gefühl. Nach ein paar Metern steigen plötzlich zwei Herren aus einem Auto. Als ich an diesen vorbei gehe höre ich wie einer der Beiden in ein Funkgerät spricht: „Er ist gerade an uns vorbei gekommen. Wir bleiben an ihm dran.“ Meine Panik steigt nun ins Unermessliche und ich entferne die Hundeleine, welche aus einer dicken Stahlkette besteht, von dem Hundehalsband. Ich halte die Leine in der rechten Hand um im Notfall damit zuschlagen zu können. Es scheint in dieser Situation unmöglich zu sein die Flucht zu ergreifen, es sind einfach zu viele Verfolger hinter mir her.

Seltsamer Weise überstehe ich den restlichen Weg bis zu meinem Büro unbeschadet und ohne erfolgtem Zugriff. In meinem Büro angekommen verriegele ich die Tür und ziehe mir anschließend in der Küche knapp zwei oder drei Gramm der Speedpaste rein. Das Zeug sorgt für etwas Ruhe und gibt mir das Gefühl die Situation besser unter Kontrolle zu haben. Mittlerweile habe ich vor den Augen eine Art Nebel und ich muss diese eng zusammen kneifen um scharf zu sehen. Plötzlich nehme ich Geräusche vor der Tür wahr und ich schleiche zu dieser um zu lauschen. Da in der Mitte der Tür eine Milchglasscheibe sitzt, gehe ich hinter der Tür in die Hocke, damit ich von außen nicht gesehen werde. Eine der Stimmen scheint meiner Frau zu gehören. Sie unterhält sich, der Stimme nach zu urteilen, mit einer anderen männlichen Person. Was sie genau sagt kann ich nicht verstehen.

Plötzlich dringt ein leises summen an mein Ohr. Es klingt wie einer dieser Akkuschrauber welchen ich auch zum montieren von Computern benutzte. Das Geräusch kommt eindeutig vom Türschloss. Wollen die etwa die Tür aufbrechen?

Ich starre wie gebannt auf das Türschloss und ich glaube kaum was ich da sehe. Die Schrauben welche das Schloss halten drehen sich und der Ring welcher um den Schließzylinder sitzt bewegt sich ebenfalls. Ey, die wollen mich tatsächlich mit allen Mitteln hier raus holen.

Ich renne in die Küche, nehme mir ein Radler aus dem Kühlschrank, öffne es und nehme einen ordentlichen Schluck. Dann schütte ich einen ordentlichen Berg Speedpaste auf die Arbeitsplatte, lege zwei übergroße Lines und ziehe diese in meine wunde Nase. Das ist einfach zu viel, die Scheiße ist am dampfen und ich habe Angst vor den Leuten da draußen…