Lauschangriff in den eigenen vier Wänden
Wir haben es nun fast Mittag und meine Praktikantin sowie mein Kollege sind unterdessen im Büro eingetroffen. Anfangs war ich froh dass ich endlich Menschen um mich habe und ich einfach merkte dass diese auch real hier vor Ort sind.
Aber es fällt mir zusehends schwerer mein Befinden zu verbergen und auch den Beiden bleibt mein merkwürdiges Auftreten nicht verborgen. Auch wenn keiner der Beiden etwas zu mir sagt, so spüre ich doch dass sie merken dass ich mich seltsam verhalte.
Das ich wieder einen Rückfall hatte ist einfach zu offensichtlich, ich habe etliche Kilo abgenommen und ich springe völlig aufgekratzt förmlich im Dreieck. Es ist mir nicht mehr möglich stil vor meinem Computer zu sitzen und an arbeiten ist im Moment sowieso nicht zu denken. Stattdessen renne ich im Büro von einem Raum in den nächsten, von dort wieder zurück und all das ohne Sinn, denn ich halte mich einfach nur in Bewegung anstatt meiner Arbeit nachzugehen.
Obwohl ich zu meinen Kollegen ein sehr gutes Verhältnis habe, komme ich mit deren Anwesenheit im Moment einfach nicht klar, denn es ist mir unangenehm wie ich in deren Augen wohl gerade wirken mag. Also verlasse ich unter einem frei erfundenen Vorwand das Büro um mich in meine Wohnung zu begeben, welche sich im Dachgeschoss vier Etagen über meinen Geschäftsräumen befindet. Ich brauche jetzt eine erfrischende Dusche oder eine bis zum Rand gefüllte Badewanne, vor allem aber meine Ruhe vor anderen Menschen.
Die gemeinsame Wohnung, welche ich mit meiner Verlobten und meinem zweieinhalb Jahre altem Sohn bewohne, finde ich zu diesem Zeitpunkt leer vor. Ich lasse mir also eine Wanne ein und während das Wasser läuft begutachte ich meinen geschundenen Körper im Badspiegel.
Mir rollen die Tränen über die Wangen, eigentlich wie immer wenn ich mein Spiegelbild nach Tagen wie diesen in Augenschein nehme. Es ist schrecklich mich so zu sehen, nichts als Haut und Knochen, meine Haut hat die Struktur von altem Leder, mein Gesicht ist eine einzige Faltenlandschaft, die Mundwinkel hängen nach unten, aber das schlimmste sind meine Augen mit diesem traurig fragenden und suchenden Blick.
Ich wende meinem Spiegelbild den Rücken zu und steige in die warme Badewanne, diese ist der Ort an welchem ich jedes Mal nach tagelangen Exzessen meine Wunden lecke, ehe ich anschließend total erschöpft in mein Bett falle oder während dem anschließenden Essen vom Schlaf übermannt werde.
So liege ich also da, lasse mir mit dem Waschlappen das Wasser über meinen Körper tropfen und denke nach. Mit einem Male nehme ich die Stimme meines kleinen Sohnes war. Er singt irgendein unheimliches Lied, es geht darum dass er mich nicht mehr sehen möchte und ich hier absolut nichts verloren hätte. Ich denke in diesem Moment nicht daran dass mein Sohn noch gar nicht in der Lage ist komplette Sätze zu bilden.
Entsetzt springe ich hoch, klettere aus der Badewanne, schleiche mit meinen nassen Füßen aus dem Bad und lausche an der Türe des Kinderzimmers. Als ich langsam die Türe öffne finde ich jedoch nur das leere Zimmer vor, auch unter dem Bett wo ich sofort nachschaue ist mein Junge nicht zu entdecken. Ebenso ist auch in der angrenzenden Abstellkammer niemand zu sehen. Ich kann einfach nicht glauben dass ich mir dies schon wieder eingebildet habe, denn ich habe mir seit heute Nacht nichts mehr gezogen, aber außer mir ist hier niemand.
Trotzdem bin ich mir sicher dass ich da etwas gehört habe, aber da ich niemanden finden kann gehe ich zurück ins Badezimmer. Auf der Wäschetruhe sitzt meine Schwester und spricht zu mir: „Hey Bruderherz lass dich nicht verarschen, ich bin hier und pass auf dich auf!“
Ich wundere mich nicht dass meine Schwester mit einem Male hier sitzt, denn ich habe das Gefühl dass sie schon vorhin hier gesessen hat.
„Ich lasse mich nicht verarschen, ich weiß was hier gespielt wird. Das ist Rache für alles was ich in den letzten Jahren getan habe.“
Grübelnd lege ich mich wieder in die Wanne, doch schon kurze Zeit später nehme ich die flüsternde Stimme meiner Verlobten war. Sie spricht mit unserem Sohn und wenige Sekunden später singen beide zusammen dieses unheimliche Lied: „Papa wir wollen dich nicht mehr sehen, du gehörst nicht mehr zu uns…“ Der Rest ist für mich unverständlich und ist einfach nur ein unheimliches Flüstern. Ich springe erneut aus der Wanne und renne ins Kinderzimmer, doch wieder finde ich nur das leere Zimmer vor. Dann schaue ich in die Abstellkammer und lausche, denn ich höre weitere Stimmen flüstern. Diese scheinen von oben zu kommen, also schaue ich nach oben und überlege ob da jemand auf dem Dachboden ist. Dann sehe ich plötzlich schwarze Punkte an der Decke und ich denke: ‚Verdammte Scheiße, dass sind doch Minimikrofone. Die hören mich doch tatsächlich ab, in meiner eigenen Wohnung. Oder sind das etwa Kameras?’
Ganz genau kann ich es leider nicht erkennen, aber da befinden sich definitiv seltsame Objekte in der Decke welche dort vorher nicht waren und hier auch nicht hingehören. Ich renne in die Küche um mir einen Stuhl zu holen, gehe mit diesem zurück in die Abstellkammer und steige nach oben um mir die Decke aus der Nähe zu betrachten.
Es ist zum verrückt werden, aus der Nähe betrachtet verschwimmen diese Dinger in der Decke und formen sich zu kleinen Löchern. Ich zweifle langsam aber sicher an meiner geistigen Reife und beschließe wieder ins Bad zu gehen.
Meine Schwester sitzt immer noch auf der Wäschetruhe und meint zu mir: „Hey, lass dich bitte nicht verarschen, es ist scheiße ich weiß. Vielleicht sollten wir wieder gehen, wir sind hier unerwünscht.“ „Nein, das sehe ich nicht ein, dies ist auch meine Wohnung“, entgegne ich und beginne mich abzutrocknen um mich anschließend in frische Kleidung zu werfen. Nachdem ich mich angezogen habe gehe ich ins Schlafzimmer, stelle das Bügelbrett auf und beginne mir ein Hemd zu bügeln. Immer wieder höre ich Stimmen flüstern, sie kommen mittlerweile aus allen Richtungen und scheinbar aus sämtlichen Räumen in der Wohnung.
Ich stehe mit dem Rücken zum Wohnungsflur und gebe mir die größte Mühe mein Hemd zu bügeln, als ich Blicke in meinem Genick spüre. Wie ich mich umdrehe, stellt sich die Dame mittleren Alters, welche dort mit einem Male vor dem Bücherregal steht, als Mitarbeiterin des Jugendamtes vor. Sie gibt vor kontrollieren zu wollen ob ich auch in unserer Wohnung Drogen konsumiere und mein Sohn aufgrund dessen in Gefahr sei. Wütend erkläre ich ihr dass ich noch nie eine einzige Line in meinen eigenen vier Wänden konsumiert hätte und nur hier sei um mich etwas frisch zu machen, sowie mir ein paar Dinge aus der Wohnung zu holen. Mit dieser Erklärung lasse ich sie sodann unbeachtet links liegen und bügle mein Hemd zu Ende. Nach diesem anstrengenden Akt gehe ich erst einmal auf den Balkon um eine Zigarette zu rauchen, all das hier ist einfach so unheimlich und zuviel für meinen Kopf…
Ich falle fast zu Boden, vor lauter Schreck, als ich mich vom Balkon wieder zurück in ins Wohnzimmer begebe und sich auf der Couch zwei Kinder befinden, welche ich noch nie zuvor gesehen habe. Sie sitzen einfach nur da und starren mich an. Schnellen Fußes gehe ich an den Beiden vorbei, wieder zurück ins Schlafzimmer um das Bügelbrett wieder an seinen Platz zu räumen. Dann habe ich das Gefühl die Stimme meiner Verlobten und eines Freundes zu hören. Die Beiden reden lauthals über mich, es scheint so als brüllten Sie absichtlich damit ich jedes Wort wahrnehme. Ich höre wie Sie über meinen aus den Fugen geraden Verstand sprechen, von verrückt oder irre ist die Rede. Mir stellt sich in diesem Moment die Frage woher die zwei wissen dass ich mich gerade in der Wohnung befinde.
Haben die zwei etwa die Mikrofone oder Minikameras in der Decke montiert? Haben sich jetzt alle gegen mich verbündet? Bin ich jetzt das Ziel?
Panisch schaue ich mich um, ich fühle mich beobachtet, mir drängt sich der Verdacht auf rund um die Uhr von Kameras beschattet zu werden. Abermals geht mein Blick nach oben und ich betrachte jede Stelle der Decke des Schlafzimmers mit Argwohn. Irgendetwas ist hier faul!
Diese Punkte und Löcher welche ich da an der Decke sehe sind so zahlreich, dass ich mir sicher bin diese noch nie zuvor gesehen zu haben. Leider kann ich mir diese Objekte nur aus distanzierter Nähe ansehen, denn die Leiter befindet sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt unten in meinem Büro. So macht das Ganze keinen Sinn, es wird Zeit hier zu verschwinden. Ich muss zurück in mein Büro, nur dort bin ich sicher vor dieser unfreiwilligen Beobachtung.
Schnell raffe ich meine Dinge zusammen, schnappe mir noch eine Kleinigkeit aus dem Kühlschrank und verlasse umgehend diese Hölle…