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Ich bin nicht allein

Nun sitze ich seit mindestens einer geschlagenen Stunde in meinem Bürostuhl, trinke ein Radler nach dem anderen, ziehe alle paar Minuten eine Line und beobachte stetig das Türschloss. Während der gesamten Zeit bewegen sich die Schrauben sowie das gesamte Schloss vor und zurück. Irgendwie scheinen die mit dem öffnen der Tür nicht vorwärts zu kommen. Als ich gerade erneut in meine Hosentasche greife um das Tütchen mit der Paste heraus zu holen, sehe ich eine Hand welche den Schwenkarm der Schreibtischlampe in meine Richtung bewegt.

Die Glühbirne hängt nun etwa 20 Zentimeter von meinem Hosenbein entfernt und ich rede mir ein dass sich in der Lampe eine Überwachungskamera befindet. Ich ziehe die Hand wieder aus der Tasche und greife nach der Lampe um sie wieder in die richtige Position zu bewegen. Doch sogleich bewegt die Hand erneut die Lampe in Richtung meines Hosenbeines. Aufgrund der vermuteten, integrierten Kamera unterlasse ich den Konsum für jenen Zeitpunkt.

Ab jenem Moment steigere ich mich in eine Psychose hinein, welche meinem Verstand keinen Freiraum für die Überlegung lässt ob ich mir hier einige Dinge einrede oder sehe welche eigentlich gar nicht da sind. Ich befinde mich inmitten eines Films, alles was hier passiert ist für mich absolute Tatsache.

Von einem Moment auf den Anderen schlägt meine Stimmung aus Wut und Panik in Depression um. Ich drehe die Lautsprecher meines PC’s auf volle Lautstärke und lasse das aktuelle Album von Ich & Ich laufen. Es ist die Art von Musik welche ich meistens beim runterkommen höre, eben dann wenn die Gedanken von Traurigkeit geprägt sind. Dieses Album kenne ich mittlerweile auswendig und ich kann jede Textzeile mit singen. Die Songtexte bringen mich auch heute wieder zum heulen, denn ich kann vieles daraus in meine eigene Situation hinein interpretieren.

Somit sitze ich mit Tränen in den Augen vor dem Monitor, schalte die Bildanimation des Windows Media Players auf Fullscreen und denke darüber nach ob es gut ist wenn ich jetzt in eine Klinik gebracht werde. Ich komme zu dem Entschluss, dass es für mich wohl das Beste sei in einer Klinik einen Entzug zu machen und dort wieder klare Gedanken sammeln zu können. Mein derzeitiger Zustand macht mir irgendwie unheimlich Angst.

Sowie ich nach links in Richtung des Schreibtisches schaue, welcher meinem Kollegen gehört, sehe ich in dem darauf stehenden Blumentopf das Gesicht einer Frau mittleren Alters. Sie grinst mich an, lächelt so als wenn sie mir gut zureden wollte. Ich habe das Gefühl sie sei eine Krankenschwester aus der Psychiatrie, keine Ahnung wie ich darauf komme, aber so denke ich eben gerade. Es bereitet mir kein Kopfzerbrechen was ich da sehe, es erscheint mir nicht seltsam das Gegenstände mit einem Male Gesichter besitzen.

„Seit ihr hier um mich zu holen“, spreche ich zu ihr. Ich kann ihre Worte nicht hören, aber ich erkenne dass sie mit ihren Lippen das Wort „Ja“ formt. Dabei bleibt ihr freundliches Lächeln bestehen und ich empfinde Sympathie für diese Dame. Sie scheint nett zu sein. Dann formt ihr Mund weitere Worte und ich verstehe: „Wir sind alle wegen dir hier. Wir wollen dir helfen, denn es ist Zeit etwas zu tun bevor du sterben tust.“ Dabei deutet sie mit ihren Augen durch den Raum, so als wolle sie sagen: „Sieh nur.“

Ich folge also ihren Blicken und bemerke plötzlich, dass der Rahmen meines Fahrrades, welches neben der Tür steht,  die Form einer dünnen, menschlichen Gestalt angenommen hat. Diese Gestalt schaut aus, wie wenn sie auf der Lauer liegen würde und mich beobachten täte. Überrascht nicke ich ihr zu und erhalte ebenso ein nicken zurück. Vor der Türe nehme ich immer noch Geräusche und Stimmen wahr und auch das Türschloss bewegt sich immer noch. Als ich erneut rüber zum Blumentopf schiele, sehe ich auch ein Gesicht im Bürostuhl und im Monitor welcher auf dem Schreibtisch steht. All die Gesichter schauen mich durchdringend und mitleidig zugleich an. Ich beginne mit ihnen zu reden, stelle ihnen Fragen und bekomme Antworten ohne dass ich ihre Stimmen hören kann.

Mir fällt auf, dass sich der Raum mehr und mehr mit Gesichtern füllt. Diese machen mir keine Angst, denn sie scheinen mir nichts Böses zu wollen. Im Gegenteil sie sind hier um mir zu helfen. Im Gespräch mit ihnen erklären sie mir dass ich mich in einer schwierigen, seelischen Verfassung befinde und unbedingt ärztliche Hilfe benötige. Sie erklären mir, dass es für mich das Beste sei mit ihnen zu gehen um mir helfen zu lassen. Irgendwie vertraue ich der Situation und den mir unbekannten Gesichtern.

Es tut mir gut Gesellschaft zu haben, nach den letzten vielen Nächten in meinem Büro. Jedoch mache ich mir nun Gedanken darüber, dass ich wenn ich nun mitgehe nie wieder Drogen konsumieren darf. Etwas in mir drängt mich dazu wenigstens den letzten Rest an Stoff, welchen ich noch in meiner Hosentasche aufbewahre, mir vollend rein zu ziehen. Doch ich getraue mich nicht, denn ich werde von allen beobachtet. Ich werde den Verdacht nicht los, dass sich unter den Gesichtern auch verdeckte Ermittler befinden. Allen voran, sind mir das Fahrrad und die Schreibtischlampe ein Dorn im Auge. Diese starren unentwegt auf mein rechtes Hosenbein und die sich dort befindliche Tasche mit den Tütchen.

Ich beginne damit mir Zigaretten zu stopfen, von meinen letzten Krümeln Tabak. Ich möchte Zeit gewinnen, denn ich möchte nicht sofort mit denen aufbrechen. Es ist mir noch zu früh und es geht mir alles zu schnell…